Nietzsche meint das doppelte Entsetzen: Vom Alltagsbewusstsein her gesehen ist das Dionysische entsetzlich, und umgekehrt, vom Dionysischen her gesehen, ist die alltägliche Wirklichkeit entsetzlich. Das bewusste Leben bewegt sich zwischen beiden Möglichkeiten. Es ist aber eine Bewegung, die eher einem Zerrissenwerden gleicht. Hingerissen vom Dionysischen, mit dem das Leben Fühlung halten muss, um nicht zu veröden; und zugleich angewiesen auf die zivilisatorischen Schutzvorrichtungen, um nicht der auflösenden Gewalt des Dionysischen preisgegeben zu sein. Es überrascht nicht, dass Nietzsche das Sinnbild dieser prekären Situation im Schicksal des Odysseus wiedererkennt, der sich an den Mast seines Schiffes fesseln lässt, um den Sirenengesang anhören zu können, ohne ihm zu seinem eigenen Verderben folgen zu müssen. Odysseus verkörpert dionysische Weisheit. Er hört das Ungeheure , aber, um sich zu bewahren, akzeptiert er die Fesselung durch die stabilisierenden Gewohnheiten der Kultur oder durch eine ordnungsstiftende und beruhigende Religion.
R. Safranski
R. Safranski
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